In Lübbecke feiert man seit 1492 das älteste Schützenfest im weiten Umkreis. Es ist auch heute noch das traditionsreichste Fest der Lübbecker Bürger. Eine eigene Musikkapelle für die festlichen Veranstaltungen gab es allerdings lange Zeit nicht. So mussten immer wieder geeignete Spielmannzüge und Blasorchester aus der engeren und weiteren Umgebung zur musikalischen Untermalung gesucht und verpflichtet werden. Dieser Zustand war einigen Leuten in der Stadt schon lange ein Dorn im Auge, aber niemand mochte es wagen, eine Kapelle zu gründen. Mitte der 50er Jahre entschloss sich daher Carl Sander, Offizier im Lübbecker Schützen-Offiziers-Korps, dem Wunsch nach einem eigenen Lübbecker Spielmannszug auf die Sprünge zu helfen. Doch über Jahre hinaus wurde die Initiative Sanders nicht verwirklich.

Erst 1962 nahm Werner Sander den Wunsch seines Vaters nach einem eigenen Lübbecker Spielmannszug wieder auf. Mit Hilfe einer Zeitungsannonce warb er um Interessenten. Die ersten Instrumente, Flöten, Fanfaren und Trommeln, stammten aus dem Bestand der zu der Zeit längst nicht mehr bestehenden Werkskapellen der Firma Blase und der Bremer Papier- und Wellpappenfabrik in Lübbecke. Die von der langen Lagerung beschädigten Instrumente wurden von Lübbecker Handwerkern kostenlos wieder instand gesetzt und erhielten mit etwas Farbe auch ihren äußeren Glanz zurück. Weitere Instrumente und vor allem der Schellenbaum, ein Stück holländischen Ursprungs aus der Zeit Königin Julianes um die Jahrhundertwende (1900), fanden sich auf dem alten Speicher im Lübbecker Burgmannshof. Unterstützung bei der Beschaffung weiterer Instrumente fand Werner Sander bei Ernst- Ludwig Barre, der spontan sechs Fanfaren stiftete.

Eine instrumentale Grundausstattung war also damit vorhanden und der erste Übungsabend konnte am 5. September 1963 in der Feuerwache, die im alten Rathaus untergebracht war, stattfinden. Anwesend waren an diesem ersten Abend: Werner Sander, Helmut Eitner, Heinz Niers, Fritz Pott, Wolfram Sasse und Karl- Wilhelm Schwarze. Die wegen der weithin hörbaren Misstöne bald völlig entnervten Feuerwehrleute zwangen die kleine Versammlung allerdings zum sofortigen Verlassen des gerade erst in Besitz genommenenÜbungsraumes. Noch am selben Abend wurden die musikalischen Versuche außer Hörweite für die empfindlichen Ohren der Lübbecker Bürger in der damals noch unbebauten Tilkenbreite auf einer Parkbank fortgeführt. Mitleid mit den begeisterten „Musikern“ hatte einige Wochen später der Standesbeamte Willi Schürmann, der einen Übungsraum in der damaligen St.- Paulus- Innung vermittelte.

Der Interessentenkreis des zukünftigen Spielmannszuges hatte sich mit der neuen Übungsmöglichkeit inzwischen stattlich erweitert. Als Alternative zu den zahlreichen Spielmannszügen im Landkreis Lübbecke entschloss man sich, einen Fanfarenzug zu gründen. Die Mitgliederzahl wuchs rasch, und man benötigte weitere Instrumente. Doch wie sollte man sie beschaffen? So war es Wolfgang Kühn, der die Musiker zu einem Abend des Lübbecker Offiziers-Korps , unter der Leitung des Obersten und Kommandeurs Carl Leue zum ersten Vorspielen einlud. Die Begeisterung war groß und spontan sagte man den Musikern Unterstützung zu und gliederte sie in das Lübbecker Schützenwesen ein.

Offiziell wurde das Lübbecker Schützen-Fanfaren-Corps des Lübbecker Bürger- Schützen- Bataillons von 1492 am 1. Januar 1964 auf der Gründungsversammlung in der Gaststätte „Zur goldenen Uhr“, genannt Ürken, gegründet. Als erfahrener musikalischer Leiter konnte Francesco di Matteo gewonnen werden. Zum 482. Schützenfest wollte die inzwischen auf 42 Mitglieder angewachsene Gruppe zum ersten Mal an die Öffentlichkeit treten. Um das ganze Unternehmen auf eine solide und handlungsfähige Basis zu stellen, bildete man alsbald einen Vorstand, dessen Vorsitz in Anbetracht seines bisherigen Einsatzes Wolfgang Kühn übergeben wurde. Zweiter Vorsitzender wurde Helmut Eitner. Die Übungsräume in der St.- Paulus- Innung waren inzwischen zu klein geworden und das traditionsreiche Schützenhaus bot den Musikern fortan eine neue Bleibe.

Im Anschluss an das Lübbecker Schützenfest wurde das Lübbecker Schützen-Fanfaren-Corps spontan zum ersten auswärtigen Auftritt eingeladen. Mit einem Gemüsewagen der Firma Hille fuhr es nach Eickhorst, wo es am dortigen Schützenfest teilnahm. Nach dem Lübbecker Bierbrunnenfest, bei dem das Schützen- Fanfaren- Corps mitwirkte, folgten Auftritte in Minden, Vlotho und Bad Oeynhausen, beim Bremer Freimarkt, den Rosenmontagszügen in Düsseldorf, Bonn und Rheine. In Luxemburg und anlässlich des europäischen Grenzlandtreffens 1966 in Bitburg/Eifel, bei dem die Lübbecker wertvolle Verbindungen nach Dänemark, Schweden, Finnland, Holland, Frankreich und England herstellten, fanden weitere Auftritte statt. In Bitburg konnten sich die Lübbecker gleich heimisch fühlen, denn Bitburg verfügte ebenfalls über einen Bierbrunnen, der sich sein köstliches Nass allerdings teuer bezahlen ließ. Dass der Bierbrunnen in Lübbecke einmal im Jahr Freibier spendiert, ließ die Bitburger vor Neid erblassen.

Einen Höhepunkt der auswärtigen Auftritte bildete die erste große Auslandsfahrt in die Normandie. Das Fanfaren- Corps war Initiator der späteren Partnerschaft zwischen Lübbecke und Bayeux, die aus diesen ersten Kontakten erwuchs. Die Einladung nach Bayeux stand im Zeichen der Cavalcade, einem Fest, nach altem Erntebrauchtum. Insgesamt waren außer dem Schützen- Fanfaren- Corps rund 500 musizierende Franzosen, Engländer und Schotten an der Ausgestaltung des Festprogramms beteiligt. Hier lernten die Lübbecker auch zum ersten Mal einige Musiker aus Dorchester/England kennen. Ganz Bayeux warfür einige Stunden nur gegen Eintrittsgeld zugänglich. Es blieb wenig Zeit, um auch das historische Bayeux, die Kathedrale, den weltbekannten Teppich aus dem 11. Jahrhundert und die wertvolle Gemälde- und Fayencensammlung zu bewundern. Aber es sollte ja nicht das letzte Mal sein, dass die Lübbecker Bayeux besuchten! Gut ein Jahr später war es wieder soweit; die zweite Reise nach Bayeux stand bevor. Nach der letzten Gastspielreise des Fanfaren- Corps im September 1967 und dem Gegenbesuch offizieller Vertreter der Stadt Bayeux in Lübbecke wurde die Partnerschaftsurkunde am 20. Oktober 1968 im Hotel de Ville in Bayeux unterzeichnet. Unter den geladenen Gästen befand sich auch die Durnovaria Silver Band aus Dorchester, der Stadt, mit der Bayeux ebenfalls Freundschaft geschlossen hatte. Die Städtepartnerschaft mit Bayeux war auch Ausgangspunkt der heute intensiven freundschaftlichen Beziehungen zu Dorchester. Der Bayeux- Besuch hatte die Gelegenheit geboten, die englischen Musiker kennen zu lernen – und die Einladung nach Dorchester ließ nicht lange auf sich warten. Vom 17. bis 24. August 1969 fuhr das Schützen-Fanfaren-Corps erstmals nach Dorchester. 48 vorwiegend junge Leute vertieften die noch jungen freundschaftlichen Bande, wobei die private Unterbringung dort nicht unwesentlich dazu beitrug.

1978 begann ein Umbruch im Schützen – Fanfaren – Corps: neue Ideen sollten in die Tat umgesetzt werden. Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung am 29. September 1978 wurde nach einer kritischen Aussprache über Funktion und Ziele daher beschlossen:

  1. neu zu beginnen
  2. Instrumente und Uniformen einer Generalüberholung zu unterziehen
  3. einen Revers auszuarbeiten, welcher beinhalten sollte:
    1. Rechte und Pflichten der Mitglieder
    2. Ausbildung, Erlernen von Noten und Beherrschung der Instrumente, üben auch außerhalb der Übungsabende
    3. Alkoholverbot vor und während der Auftritte.

 

Karl-Heinz Grothus und Gerhard Grote bereiteten die Bildung eines Blasorchesters vor. Die ersten großen Blasinstrumente, wie Tenorhorn, Bariton und Posaune, wurden angeschafft. Bereits nach acht Wochen stellte sich die neue Besetzung auf der Jahreshauptversammlung mit einer Tonbandaufnahme vor. Zehn Aktive waren zunächst nur bereit, sich den neuen, härteren Bedingungen zu stellen, doch der Kreis wuchs innerhalb kurzer Zeit so stark, dass sich das Corps zum Schützenfest 1979 erstmals der Öffentlichkeit vorstellen konnte. Eine Reihe neuer Instrumente waren hinzugekommen: Flöte, Klarinette, Trompete, Tenorhorn, Bariton, Posaune, Tuba und Schlagzeug.

Dies war der Beginn der Entstehung des heutigen Schützen – Musik – Corps Lübbecke, denn die Umstellung auf neue Instrumente und die neben dem Einzelunterricht zweimal wöchentlich stattfindende Arbeit nach Noten ließ unter der Leitung von Gerhard Grote einen völlig neuen Klangkörper entstehen. Besonders Jugendliche sollten sich angesprochen fühlen, um musikalische Neigungen mit Hilfe einer Ausbildung durch das Corps zu vervollkommnen. Der Anschluss an den Deutschen Volksmusikerbund sollte die Ausbildungsbasis durch die dort angebotenen Lehrgänge verbreitern.

Ein Jahr nach der Umgestaltungließen sich die Klänge der neuen Formation in einer Veranstaltung des Deutschen Volksmusikerbundes und beim Lübbecker Wurstmarkt bereits recht gut hören. Hier war auch die neugestaltete Standarte des Schützen-Musik-Corps Lübbecke mit von der Partie. Aus Günden der Tradition blieb der alte Teil des Wahrzeichens erhalten und es war lediglich eine neue Vorderseite mit dem neuen Namen der Musikgruppe und dem neuen Stadtwappen von Lübbecke in Auftrag gegeben worden.

Die Feierlichkeiten anlässlich der 20jährigen Partnerschaft zwischen Striegau und Lübbecke gab dem Schützen-Musik-Corps Lübbecke Pfingsten 1980 die Gelegenheit zu einem größeren Konzert in der Lübbecker Stadthalle. Hier konnte sich das immer noch junge Orchester bereits sehr gut und in gewachsener Besetzung präsentieren. Zum 488. BürgerSchützenfest holte man sich mit der Durnovaria Silver Band Verstärkung aus dem befreundeten Dorchester. Das Repertoire des Schützen-Musik-Corps reichte inzwischen vom Marsch bis hin zu beliebten Evergreens, und so sorgten die befreundeten Orchester im Festzelt und auf dem Festplatz gemeinsamfür gute Laune.

Die Auslandsfahrten nach Dorchester und Bayeux nahm das junge Musik – Corps ab 1981 wieder auf und es wurde mit seinem veränderten Gesicht sehr herzlich aufgenommen. Man bewunderte das musikalische Niveau, dass das Blasorchester unter der Leitung von Gerhard Grote innerhalb kurzer Zeit erlangt hatte und stellte lobend das Engagement der Vorsitzenden Ernst-August Schmidt und Karl-Heinz Grothus heraus, die sich seit zwei Jahren bemüht hatten, dem neuen Musik-Corps eine gute organisatorische Basis zu geben. 1982 erhielt das Schützen-Musik-Corps Verstärkung durch Reinhold Gorges, dem Leiter der Musikschule Hüllhorst, der die Ausbildung der Holzbläser übernahm. Der Transport der großen Musikinstrumente wurde immer schwieriger, daher wurden ein VW-Bus und ein Wohnwagen gekauft und von Helmut Hölscher in mühseliger Arbeit umgebaut, sodass die Musikinstrumente, Noten und auch der Schellenbaum gut verstaut werden konnten.

Höhepunkt der Vereinsgeschichte des Schützen-Musik-Corps Lübbecke war die Amerika- Reise anlässlich der alljährlichen Steubenparade in New York. Fieberhafte Vorbereitungen hatten die Musiker monatelang in Atem gehalten. Vor allem waren vorab auch die finanziellen Probleme der überwiegend jugendlichen Mitglieder des Corps zu bewältigen. Der ursprünglich großzügig angelegte Zuschuss des Kulturamtes schmolz auf 9.500 DM und der Vorstand hatte Mühe, die fehlenden Gelderfür die anfallenden Reisekosten durch vermehrte Auftritte und Spenden Lübbecker Bürger zusammenzutragen. Doch dann war es soweit: Von Amsterdam aus starteten 58 Mitglieder, davon 42 Jugendliche, nach New York. Durch intensive Proben hatte sich das Corps einen hohen musikalischen Leistungsstand erarbeitet, der dann auch gebührend belohnt wurde. Die Steubenparade bot den Lübbeckern die bislang größte Zuhörerzahl: ca. eine halbe Million Menschen säumten die New Yorker Straßen und jubelten den vorbeimarschierenden Gruppen zu.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der damit verbundenen Öffnung der osteuropäischen Staaten nach Westen war es möglich geworden, eine bereits vor der Öffnung des Eisernen Vorhangs im Jahre 1989 angelaufenen Partnerschaft Lübbeckes zur ungarischen Stadt Tiszakecske zu intensivieren. Im Rahmen dieses partnerstädtischen Kontaktes verbrachte das Corps im Oktober 1999 einige Tage in Tiszakecske als Gast bei den dortigen jährlichen Feierlichkeiten zur Weinlesezeit. Mit dabei war eine Abordnung der Stadt Lübbecke unter Führung des neu gewählten Bürgermeisters Gerhard Bösch. Die Mitglieder des Schützen-Musik-Corps Lübbecke unter der Leitung von Stefan Leja und der Delegation waren bei Familien privat untergebracht. Einmal mehr zeigte sich, dass das Wort der viel gerühmten ungarischen Gastfreundschaft seine Berechtigung hat: Alle fühlten sich rundum wohl und zufrieden.

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